Was zeichnet Trailrunner:innen aus, welche speziellen Bedürfnisse haben sie?
Gerhard Gstettner: Trailrunner:innen sind aktive, naturverbundene Menschen mit einer hohen Affinität zum Draußensein – und sie unterscheiden sich deutlich von klassischen Straßenläufer:innen. Während beim Straßenlauf oft die Zeit oder der Leistungsgedanke im Vordergrund steht, geht es Trailrunner:innen vor allem um das Erlebnis in der Natur.
Laut einer Leserumfrage des deutschen Trailrunning Magazins trainieren nur 10 % der Befragten regelmäßig indoor. Auch im Winter bleibt die Mehrheit draußen aktiv – nur rund ein Drittel weicht auf Indoor-Angebote aus. Das heißt: Diese Zielgruppe ist ganzjährig und wetterunabhängig draußen unterwegs, was besonders gut zu alpinen Destinationen wie Tirol passt.
Wichtige Bedürfnisse dieser Zielgruppe sind:
- Laufbare Strecken mit gutem Flow
- Abwechslungsreiche Routen, die technisch fordern, aber nicht überfordern
- Panoramaspots, an denen man auch bewusst verweilen kann
- Und ein wachsendes Interesse an sportgerechter Ernährung – besonders bei längeren Touren oder Camps
Kurz gesagt: Trailrunner:innen suchen das intensive Naturerlebnis – nicht das Durchhetzen, sondern das bewusste Unterwegssein. Dieses Mindset muss sich auch in der Produktentwicklung widerspiegeln.
Wie können Destinationen erfolgreiche Produkte für diese Zielgruppe schnüren und welche Stakeholdergruppen braucht es dazu?
Gerhard Gstettner: Die Basis ist immer eine saubere Streckenkonzeption. Das bedeutet: keine Zufallsauswahl aus bestehenden Wanderwegen, sondern eine gezielte Kombination – angepasst an die gewünschte Zielgruppe, mit durchdachten Höhenmetern, gut laufbaren Passagen und echten „Wow-Momenten“ unterwegs.
Ein entscheidender Erfolgsfaktor ist die Einbindung der lokalen Akteure: Tourismusverantwortliche, Wanderführer:innen, sportaffine Gastgeber:innen oder Vereine. Wenn diese von Anfang an eingebunden sind, entsteht nicht nur wertvoller Input für die Streckenplanung, sondern auch eine authentische Identifikation mit dem Thema. Sie tragen das Produkt positiv in die Bevölkerung – und werden zu wichtigen Botschafter:innen gegenüber den Gästen.
Darüber hinaus braucht es häufig die Zusammenarbeit mit Expert:innen, die sowohl touristisches als auch sportliches Know-how mitbringen. Denn Trailrunning ist keine klassische Sportart – es ist ein Lebensgefühl. Und dieses will verstanden und spürbar gemacht werden.
Welche Best Practices gibt es dazu im Alpenraum?
Gerhard Gstettner: Ein besonders prägendes Beispiel ist sicher das Pitztal, das ich über mehr als zehn Jahre hinweg zur Trailrunning-Destination mit aufgebaut habe. Der Schlüssel zum Erfolg war hier nicht nur eine gute Streckenkonzeption oder das Marketing – sondern vor allem das Ohr ganz nah an der Szene zu haben. Die besten Impulse kamen aus Gesprächen mit den Sportler:innen selbst: auf dem Trail, im Zielbereich eines Events oder beim Abendessen vor der nächsten Trainingseinheit. Auch der Austausch mit Spitzenathlet:innen war essenziell – sie wollen gehört werden und bringen wertvolle Ideen für Streckenführung, Infrastruktur oder Trainingsmöglichkeiten mit. Genauso wichtig ist der Dialog mit Sportartikelherstellern, die die Szene mitprägen und konkrete Anforderungen an Destinationen herantragen.
Ein weiteres gelungenes Beispiel ist Seefeld, wo ich nicht nur die Sommerstrecken, sondern auch eigene Winter-Trailrunning-Strecken konzipiert habe. Seefeld bietet Trailrunning heute 365 Tage im Jahr – das ist im Alpenraum fast einzigartig. Auch Warth-Schröcken ist hervorzuheben: Dort entstanden durchdachte Trailrunning-Strecken in enger Zusammenarbeit mit den Locals, ergänzt durch Camps, ein Trainingslager des deutschen Nationalteams und gezielte Eventoptimierung.
Auf Betriebsebene haben sich mehrere Häuser klar zum Thema positioniert – allen voran:
- Das Hotel Vier Jahreszeiten im Pitztal
- Der Langtaufererhof in Südtirol
- Das Hotel Sepp in Maria Alm
Diese Betriebe leben Trailrunning authentisch – mit Know-how, Angeboten für sportliche Gäste und dem richtigen Gespür für Community-Building.
Wo liegen die Herausforderungen in der Umsetzung?
Gerhard Gstettner: Ein häufiger Fehler ist, Trailrunning als Trend zu sehen und einfach ein paar bestehende Wanderwege „umzuwidmen“. Doch die Zielgruppe merkt sehr schnell, ob eine Strecke wirklich fürs Laufen gemacht ist – oder nur eine Alibi-Aktion. Herausfordernd ist oft auch die interne Kommunikation: In manchen Regionen gibt es Vorbehalte – sei es von Landwirten, der Wanderfraktion oder einfach aus Unwissenheit. Hier braucht es überzeugte Menschen vor Ort, die das Thema positiv aufladen und mittragen.
Und nicht zuletzt: Trailrunning ist kein „One Shot“-Produkt. Es braucht Zeit, Pflege und Weiterentwicklung. Sichtbarkeit entsteht nicht über Nacht – sie muss durch Community, Veranstaltungen, digitale Präsenz und Erlebnisse vor Ort wachsen. Wer aber bereit ist, diesen Weg zu gehen, profitiert von einer aktiven, loyalen und wertschätzenden Zielgruppe, die Trailrunning nicht nur konsumiert, sondern lebt – und ihre Begeisterung weiterträgt.
Gerhard Gstettner ist…
